Review: Memento Mori

„Alle Menschen sterben. Sie sterben.“

Was anfangs noch eine nette Samurai- oder anderweitig actionreiche Kampfgeschichte werden könnte, entpuppt sich schnell als tiefgründige, die unpopulären Seiten des Lebens beleuchtende Erzählung. Fumiko Fumis „Memento Mori“ ist ein Ausflug in die emotionalen Abgründe ganz verschiedener Persönlichkeiten, aber auch eine Geschichte über Akzeptanz, Selbstfindung und nicht zuletzt darüber, wie man gemeinsam tiefste Täler durchschreiten kann.

Memento Mori erschien als Einzelband im japanischen Original bereits 2013, in deutscher Erstauflage Ende 2015 bei Tokyopop. Als Übersetzer zeichneten Etsuko Tabuchi und Florian Weitschies verantwortlich und die deutsche Fassung ist gleichermaßen ansprechend und ungestelzt wie fehlerfrei – was ja unterdessen fast schon selten ist – und mit einigen wichtigen Erläuterungen zu buddhistischen Totenriten gespickt, sodass man auch ohne Kenntnisse versteht, was los ist.

 

Story

Die Handlung ist recht schnell erzählt: Meno hat neuerdings einen Nebenjob im Bestattungsinstitut. Jeden Tag schreibt sie ihrem verschollenen Bruder eine kleine Notiz darüber, was sie erlebt hat, damit er nachlesen kann und weiß, was alles los war, wenn er eines Tages wieder auftaucht. Meno ist ein Traumbuch bei Nacht: Sie ist schusselig und döst dann und wann mitten im Dienst vor sich hin, trotzdem ist sie mit Herzblut bei der Sache. Ihrem Vorgesetzten Kurokawa gefällt dieses schludrige Verhalten jedoch gar nicht – er droht ihr sogar regelmäßig, sie umzubringen. Der Manga handelt von den täglichen Reibereien im Institut sowie von den persönlichen Hintergründen der Beteiligten und beschreibt die sich entwickelnde seltsame romantische Beziehung zwischen Meno und Kurokawa.

 

Die Charaktere

Meno – oder Meme, wie Kurokawa sie auf Grund eines Schreibfehlers auf ihrem Namenskärtchen tauft – ist ein sehr ambivalenter Charakter. Einerseits wirkt sie gewissenhaft und berührt von ihrer Arbeit, andererseits nickt sie ab und zu bei den Trauerzeremonien ein oder macht hier und da kleinere und größere Fehler. Oberflächlich gesehen wirkt sie sehr unbedarft und naiv-mädchenhaft, aber je tiefer man Einblick in ihre Vergangenheit und Gedanken erhält, umso öfter wirkt sie auch niedergeschlagen und zu Weilen regelrecht müde und gelangweilt vom Leben. In diesen Momenten stellt sich einem ein sehr gereifter, fraulicher Charakter dar, der selbst an einer Beziehung kein wirkliches Interesse finden kann. Meme ist gezeichnet vom mysteriösen Verlust ihres Bruders, den man episodenweise glatt für Eibildung halten könnte. Ihr Leben scheint erst wieder Farben zu bekommen, als sie Kurokawa näher kennen lernt. Die Vielschichtigkeit ihres Charakters wird sehr durch die Gestaltung von Memes Kleidung und ihren Frisuren unterstrichen. Auf der Arbeit ist sie stets akkurat gekleidet und verhält sich ziemlich unauffällig, wohingegen sie privat teils leger, teils mit wallendem Haar auftritt, das wie ein Schleier wirkt, der einen in ihre Vergangenheit mitzieht.

Kurokawa wiederum ist schon Anfang 30 und ein ziemlicher Psycho. Er mobbt seit Jahr und Tag die Neuen aus dem Bestattungsinstitut – nur Meme ist er noch nicht losgeworden. Ständig droht er ihr damit, sie zu töten, was sich später als dunkle Anspielung auf seine Vergangenheit herausstellt. Doch Meme schreckt das nicht ab, im Gegenteil: Sie verliebt sich in den kantigen und unfreundlichen Mann, der davon zunächst gar nichts wissen will. Überhaupt weist Kurokawa alles von sich ab. Er tritt gleichermaßen höflich, zuvorkommend und professionell distanziert auf, kann aber auch heftig austeilen und ganz grausige Dinge sagen. Er wirkt im Gegensatz zu den anderen Figuren sehr groß und dünn, manchmal fast wie ein Schatten seiner selbst, der er ganz offenbar auch zu sein scheint.

 

Zeichenstil

 

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Memento Mori kommt extrem schmucklos daher. Wer eher auf ausgefeilten Faltenwurf, viele im Wind wehende Haare und tausende hübscher Blütenblätter à la Arina Tanemura steht, wird hier wohl leider enttäuscht werden. Dabei steht Memento Mori in Sachen Drama und Stimmung genannter Bestsellerautorin auf in nichts nach. Allgemein muten alle Personen recht kindlich und für einen Manga ungewöhnlich „rundlich“ und daher extrem kindlich an. Das zuweilen düstere Setting wird durch die Verwendung komplett schwarzer Seiten gut unterstrichen. Die Gesichter aller beteiligten Personen wirken trotz der sehr minimalistischen Ausführung der Zeichnungen alle unterschiedlich und einzigartig. Mit einfachsten Mitteln schafft Fumiko Fumi es, extrem feinsinnige Veränderungen in Gesichtszügen wie Gestik darzustellen, sodass man direkt ein Gespür dafür bekommt, wie die Figur gerade fühlt und denkt, trotzdem aber viel Spielraum für eigene Interpretationen bleibt. Auf Hintergründe und Schmuck wird weitgehend verzichtet, nur an Stellen mit großer emotionaler Wirkung geht Fumiko Fumi sehr ins Detail, wie bspw. wenn zum Abschied von den Toten die Särge von Angehörigen mit Lilienblüten gefüllt werden. Es ist auf seltsame Weise verzaubernd, wie viel Gefühl in diesen einfachen Zeichnungen steckt und vor allem, was für Gefühle damit beim Leser ausgelöst werden können.

 

Deutschsprachige Ausgabe

Die deutschsprachige Ausgabe ist schwarz-weiß im Überformat gedruckt und dementsprechend teurer als andere Mangas im herkömmlichen Taschenbuchformat. Front- und Rückseite sind wie im Hochdruckverfahren nur 2-farbig orange und dunkelrosa gedruckt und mit einer hochwertigen Prägung verfeinert. Außerdem besitzen beide Seiten eine innenliegende Klappseite, auf der vorn Informationen zur Autorin Fumioko Fumi und ihren bisherigen Werdegang und hinten eine Kurzfassung der Story von Memento Mori enthalten sind. Insgesamt wirkt der Einzelband durch die Übergröße und die minimalistischen Zeichnungen sehr aufgeräumt und übersichtlich. Man hat die Möglichkeit, jeden Strich und jede Abtönung der vielfältigen Graustufen ohne Anstrengung oder Lupe zu verfolgen. Da Memento Mori ohnehin keine heitere in-der-Bahn-zur-Schule-fahren-und-schnell-mal-reinlesen-Lektüre ist, stört die Größe des Buches wenig und verstärkt den Eindruck des Werkes ungemein.

 

Fazit

Mich persönlich hat Memento Mori auf vielerlei Weise berührt – schmerzlich, humoristisch und auch unangenehm. Das zeichnet meiner Meinung den Einzelband am meisten aus. Selbst mit gesellschaftlich grenzwertigen Themen wie hier dem Tod, Verlust von geliebten Menschen, Depression und sexuellen Gewaltfantasien weiß Fumiko Fumi einfühlsam umzugehen und vor allem lässt sie den Leser trotz aller Schwere der Lektüre am Ende nicht unbefriedigt oder traurig zurück. Der hier vorgestellte Einzelband hat mir Lust auf mehr von dieser Autorin gemacht.

Eine Altersbeschränkung konnte ich auf dem Manga nicht finden, wobei ich wirklich finde, dass er eine verdient hätte. Nicht nur die Düsternis und die Art der Beschäftigung mit dem Tod und der unverblümte Umgang mit Leichen sind nichts für schwache Nerven, auch die Andeutung von sexueller Gewalt ist nicht ganz ohne. Ich würde den Manga ab 15+ uneingeschränkt empfehlen.

 

Bewertung

Dieser Manga bekommt von mir starke 8 Punkte. Die Themenauswahl und die Art der Ausführung haben mir sehr gefallen, obwohl ich mir hier und da auch etwas ernsthaftere oder detailliertere Beschäftigung mit den angeschnittenen Punkten gewünscht hätte (was aber vielleicht auch der Kürze des Mangas geschuldet ist). Außerdem fand ich auch das Wortspiel von „Momento Mori“ zu „Memento Mori“ mit dem Spitznamen der Protagonistin (Meme) mehr als sympathisch, vor allem, da es mir erst auffiel, nachdem ich diese Review geschrieben habe. 😉

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